Alle gegen Pogačar. Und was machen eigentlich die Schweizer? – Alles zur Tour de France 2024
Wenn die allermeisten Menschen in die Badi rennen, beginnt für gewisse aus ganz anderen Gründen die schönste Zeit des Jahres. Mit heruntergelassenen Storen schauen sie in der Nachmittagshitze den Kämpfern auf zwei Rädern zu, wie sie sich drei Wochen lang durch Frankreich quälen. Die grosse Vorschau auf die Tour de France.
Das Wichtigste in Kürze
- Datum: 29. Juni bis 21. Juli.
- Etappen: 21 insgesamt. 8 Flachetappen, 3 hügelige Etappen, 7 Bergetappen (davon 4 Bergankünfte), 2 Zeitfahren und 1 Gravel-Etappe.
- Strapazen: 3492km, 52'230 Höhenmeter.
- Ort: Grand Départ in Florenz, Ankunft in Nizza. Das erste Mal nicht in Paris.
- Spezielles: Das erste Mal seit 1989 und dem Kampf zwischen Greg LeMond und Laurent Fignon endet die Tour mit einem Zeitfahren.
- Highlight: Gruppetto-Liveticker bei der 19. Etappe am 19. Juli!
Die Favoriten
Der Gesamtsieg geht wohl nur über den Giro-Dominator Tadej Pogačar und den Vorjahressieger Jonas Vingegaard. Ein kleines Fragezeichen stellt sich noch bezüglich der Form des Dänen nach seinem Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt im April. Ebenfalls angeschlagen sind mehrere seiner Teamkollegen wie etwa Wout van Aert. Doch der vielseitige belgische Fahrer wird an der Tour de France starten.
Hinzu kommen bei Visma-Lease a Bike: Bart Lemmen, Tiesj Benoot, Matteo Jorgenson, Christoph Laporte, Wilco Kelderman und Jan Tratnik. Sollte Vingegaard nicht auf Touren kommen, dürfen wir gespannt sein, ob Matteo Jorgensen die Leaderrolle übernimmt. Der 24-Jährige fährt eine starke Saison, muss aber erst noch zeigen, dass er auch während mehrerer Wochen ganz vorne mitfahren kann.
Tadej Pogačar steht mit einem Wahnsinnsteam am Start. Die von den Emiraten bezahlten Mannen können eigentlich gleich selbst das gesamte Tour-Podest füllen: Juan Ayuso (3. Vuelta 2022), João Almeida (3. Giro 2022), Adam Yates (3. Tour 2023), Pavel Sivakov, Marc Soler, Tim Wellens und Nils Politt. Wird Pogačar der erste Giro-Tour-Double-Gewinner seit Marco Pantani?
Chancen aufs Gesamtklassement erhoffen sich noch weitere Fahrer. Allen voran Primož Roglič vom Team Bora-Hansgrohe. Das neu von Red Bull mitfinanzierte Team macht alles für den Tour-Sieg. Es wird erstmals in den Farben des Koffeingetränks antreten. Egan Bernal (Ineos-Grenadiers), Tour-Sieger 2019, ist nach seinem schweren Sturz (20 Knochenbrüche) wieder in Form und hat zwei starke Kollegen an seiner Seite: Tom Pidcock und Geraint Thomas. Letzterer beendete in seinem letzten Profijahr bereits den Giro auf Rang 3. Der belgische Konsul Koen Gabriels (hier nachzulesen) und wohl ganz Belgien hoffen auf einen Sieg von Remco Evenepoel. Der junge Flandrien hatte gemäss eigenen Aussagen bei der Dauphiné noch 2-3 Kilogramm zu viel auf den Rippen. Mal schauen, in welcher Form er in die Tour startet.
Lediglich Aussenseiterchancen traue ich folgenden Fahrern zu: Jai Hindley (Bora-Hansgrohe), Richard Carapaz (EF Education-Easypost), David Gaudu (Groupama-FDJ), Derek Gee (Israel-Premier Tech).
Die Schweizer
Dieses Jahr starten drei Schweizer zur Tour de France.
- Silvan Dillier: Im Alpecin-Deceuninck-Team um Jasper Philipsen und Mathieu van der Poel wird der 33-Jährige mit Helferaufgaben betreut sein. Kaum einer kontrolliert eine Spitzengruppe vom Peloton aus so akurat wie Silvan Dillier. Auf eigene Rechnung wird er wohl nur fahren können, wenn sein Team keine Siegchancen für Sprinter Philipsen sieht.
- Stefan Küng: Für das französische Team Groupama-FDJ ist die Tour natürlich noch essenzieller als für andere. Stefan Küng will mit seiner neuen Maschine vor allem beim flachen Zeitfahren (5. Etappe, 25km, 283hm) und je nach Kräften beim Tourabschluss (21. Etappe, 35km, 728hm) um den Sieg fahren.
- Stefan Bissegger: Auch er ist ein Zeitfahrspezialist und soll da für sein Team EF Education-Easypost die Kohlen aus dem Feuer holen.
Noch unsicher ist die Nomination der weiteren Schweizer.
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Nicht dabei sind:
- Mauro Schmid: Bei ihm sah es lange nach einer Nomination aus. Doch das Team Jayco-AlUla schickte ihn zur Slovakei-Rundfahrt.
- Jan Christen: Der junge Schweizer sagt in der aktuellen Ausgabe des Gruppetto, er fahre erst mit, wenn er um den Gesamtsieg fahren könne. (Hier Heft kaufen.)
- Marc Hirschi: Leider hat es nicht ins Aufgebot des UAE Team Emirates gereicht.
- Johan Jacobs: Auch er fährt dieses Jahr nicht mit.
- Fabian Lienhard: Erholt sich nach über 9000 Rennkilometern und bereitet sich derweil auf die WM vor.
Apropos Schweizer: Wir haben Silvan Dillier vergangenes Jahr während der Tour de France begleitet. Hier kannst du nachlesen, was er erlebt hat.
Die Etappen
Woche 1:
Etappe 1, 29. Juni, Florenz–Rimini: Die diesjährige Tour de France startet in Italien. Genauer in Florenz. Es ist der erste Grand Départ in Italien überhaupt. Und dieser hat es in sich. Drei Bergpreise der Kategorie 2 und vier der Kategorie 2 summieren sich über 206km zu 3600 Höhenmetern. Hat hier man im falschen Moment einen Defekt, kann es im äusserst hügeligen Terrain sehr schwer werden, den Anschluss wieder herzustellen.
Der Start in Italien ist auch ein Tribut an Marco Pantani. Die erste Etappe endet in Rimini, wo er 2004 verstorben ist. Die zweite Etappe startet in seinem Heimatort Cesenatico.
Etappe 2, 30. Juni, Cesenatico–Bologna: Die zweite Etappe hat Eintagesklassiker-Charakter. Fast 200km ist sie lang und beinhaltet wellige 1858 Höhenmeter.
Etappe 3, 1. Juli, Piacenza–Turin: Die letzte ganz auf italienischem Grund stattfindende Etappe ist auch die erste wirkliche Sprintetappe. 229km fordern die Fahrer am Montag.
Etappe 4, 2. Juli, Pinerolo–Valloire: Am Dienstag verlässt der Tourtross nach dem Start in Pinerolo Italien und fährt zum Col du Galibier (2642 m.ü.M.). Es ist die erste echte Bergetappe. Noch nie mussten die Fahrer so früh in der Tour so hoch hinauf. Das Ziel befindet sich allerdings nach der 20km langen Abfahrt am Fusse des Galibiers in Frankreich.
Etappe 5, 3. Juli, Saint-Jean-de-Maurienne–Saint Vulbas: Etwas durchatmen kann der Grossteil der Fahrer am 3. Juli. Auf diesem Teilstück können die Sprintteams Erfolge einfahren. Sofern ihnen böige Winde keinen Strich durch die Rechnung machen.
Etappe 6, 4. Juli, Mâcon–Dijon: Nochmals eine flache Sprintetappe.
Etappe 7, 5. Juli, Nuits-Saint-Georges–Gevrey-Chambertin: Das 25 Kilometer lange Einzelzeitfahren wird aus Schweizer Sicht hoffentlich zur Beute von Stefan Küng.
Etappe 8, 6. Juli, Semur-en-Auxois–Colombey-les-Deux-Eglises: Heute dürfte es lange dauern, bis sich eine Fluchtgruppe etabliert. Denn die Chancen sind gross, dass sie durchkommt. Wird sie doch eingeholt, braucht es beim bergauf Sprint ordentlich Kraft.
Etappe 9, 7. Juli, Troyes–Troyes: Strade bianche oder besser: route blanches. Zum Ende der ersten Tour-Woche geht es über 14 kiesige Abschnitte mit einer totalen länge von 32km. Erleben wir hier bereits eine Vorentscheidung im Gesamtklassement?
Woche 2:
Etappe 10, 9. Juli, Orléans–Saint-Amand-Montrond: Die zweite Woche startet nach einem Ruhetag mit der flachsten Etappe in diesem Jahr. Lediglich 874 Höhenmeter sind auf 164km zu bezwingen. Wird sie zum grossen Moment von Mark Cavendish? Die britische Sprinterlegende könnte mit einem Sieg den grossen Eddy Merckx hinter sich lassen und mit 35 Tour-Etappensiegen zum alleinigen Rekordhalter avancieren. Übrigens: in Saint-Amand-Montrond hat Cavendish schon bei der Tour 2013 Peter Sagan und alle anderen hinter sich gelassen.
Etappe 11, 10. Juli, Évaux-les-Bains–Le Lioran: Viele der insgesamt 4192 Höhenmeter durchs Zentralmassiv befinden sich auf den letzten 50 der 212 zu fahrenden Kilometern. Das Ziel befindet sich auf 1234 m.ü.M.
Etappe 12, 11. Juli, Évaux-les-Bains–Le Lioran: Einen Tag später geht es wieder runter. Am 11. Juli müssen die Sprinter 2304 Höhenmeter überwinden, bevor sie nach 204 Kilometern um den Sieg ellbögeln dürfen.
Etappe 13, 12. Juli, Agen–Pau: Noch ein Tag für die Sprinter bevor es in die Pyrenäen geht.
Etappe 14, 13. Juli, Pau–Saint-Lary-Soulan Pla d'Adet: Hier müssen die Fahrer den Col du Tourmalet (18.7km, 7.4% Steigung) und den Hourquette d'Anzican (8.2km, 5.1% Steigung) überwinden. Erst danach folgt der finale Aufstieg zum Pla d'Adet mit einer durchschnittlichen Steigung von 8% während 10km.
Etappe 15, 14. Juli, Loudenvielle–Plateau de Beille: Zum Abschluss der zweiten Woche stehen über 5000 Höhenmeter verteilt auf 199km an. Die Bergankunft auf dem Plateau de Beille ist selbst 15km lang und im Schnitt 7.8% steil. Nach dieser Etappe können sich nicht mehr viele Fahrer Hoffnungen auf den Gesamtsieg machen.
«Wenns ufe goht, isch es überall streng!»
Beat Breu, Radsportlegende
Woche 3:
Etappe 16, 16. Juli, Gruissan–Nîmes: Hat Cavendish den Rekord noch nicht geholt, bietet sich heute wohl die letzte Gelegenheit. Die Etappe von Gruissan nach Nîmes ist die letzte echte Sprintetappe. Aber Achtung: Hier bläst der berüchtigte Mistral!
Etappe 17, 17. Juli, Saint-Paul-Trois-Châteux–Superdévouly: Gibt es noch Teams ohne zählbaren Erfolg? Oder Fahrer, die etwas gut zu machen haben? Heute wäre der Moment auf der hügeligen Etappe nach Superdévouly, wo das Ziel nach einem 3.9km kurzen Anstieg steht.
Etappe 18, 18. Juli, Gap–Barcelonnette: Auch hier muss man kein Bergfloh sein, um zu gewinnen. Aber einen ordentlichen Motor braucht es schon, um die hügeligen 3025 Höhenmeter als erster zu bewältigen.
Etappe 19, 19. Juli, Embrun–Isola 2000: Zur 19. Etappe lancieren wir den ersten Gruppetto-Liveticker. An diesem Freitag wollen wir beste Unterhaltung bieten, wenn die Fahrer die Alpen und mit dem Col de la Bonette den höchsten Punkt der diesjährigen Tour unter die Räder nehmen.
Etappe 20, 20. Juli, Nizza–Col de la Couillole: Die letzte Etappe vor dem abschliessenden Zeitfahren. Es gilt, nochmals alles rauszuhauen, um im Gesamtklassement möglichst gut dazustehen ohne am nächsten Tag völlig einzugehen.
Etappe 21, 21. Juli, Monaco–Nizza: Das Zeitfahren an der Côte d'Azur über 34km und 728 Höhenmeter entscheidet die Tour de France 2024. Es ist das erste finale Zeitfahren seit dem unvergessenen Kampf 1989. Damals, am 22. Juli 1989, lag Laurent Fignon 50 Sekunden vor Greg LeMond. Dann folgte das Zeitfahren von Versaille nach Paris. Mit einem Schnitt von 54.55km/h legte der Gewinner die 24.5km zurück. Er hiess Greg LeMond. Und Laurent Fignon, der Mann mit dem klingenden Namen und der lustigen Brille, büsste mit 52.65km/h im Schnitt 58 Sekunden ein. Der dritte Tour-Sieg nach 83 und 84 blieb ihm also verwehrt. Genau diesen dritten Sieg holte sich LeMond ein Jahr später im Weltmeistertrikot.