«Ich kenne keinen einzigen schwulen Veloprofi»

Wie haben es Profis mit Sex vor einem Rennen? Warum hat sich noch nie ein Fahrer als schwul geoutet? Fabian Lienhard vom Team Tudor gibt einen ungefilterten Einblick in seinen Alltag als Veloprofi.

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Fabian Lienhard (32) fährt seit acht Jahren im Peloton der Strassenprofis.Sex vor einem Rennen findet er zwar gut, aber logistisch sei es schwierig. (Bild: @mauricehaas)

Text: Corsin Zander

Fotografie: Maurice Haas

Der Mountainbiker Ralf Näf sagte mal: «Sex vor dem Rennen? Klar, so viel Sie wollen. Nur eines ist tabu: ein Orgasmus. Der schwächt mich jedenfalls nachhaltig.» Wie ist das bei dir?

(lacht) Ich kenne Ralf gut. Das hat er mit Sicherheit nicht ernst gemeint, ihm sollte man nicht alles glauben. Ich wüsste nicht, weshalb Sex ohne Orgasmus besser sein sollte als mit. Es ist aber gar nicht so einfach, vor dem Rennen Sex zu haben. Wir reisen jeweils zwei bis drei Tage vorher an und übernachten dann mit dem Team in einem Hotel. Zumeist sind wir zu zweit in einem Hotelzimmer. Da wäre es schon ein sehr grosser Aufwand, die Freundin oder Frau noch ins Hotel zu schleusen. Aber wenn es passt, wieso nicht? Das Wichtigste ist doch ein gutes Gefühl und ein freier Kopf. Dann läuft es richtig.

Deine Freundin lebt in Zürich. Übernachtest du da nicht bei ihr, wenn zum Beispiel der Start einer Etappe der Tour de Suisse in der Nähe ist?

Das ist unmöglich. Man ist in solchen Momenten immer im Team unterwegs. Auch an den Weltmeisterschaften in Zürich habe ich im Hotel übernachtet. Wir schlafen ja nicht nur dort, sondern haben die Massage dort oder essen im Hotel. Das wird auch vom Weltradsportverband UCI so vorgegeben. Man darf zum Beispiel nicht in einem Camper übernachten, auch wenn es näher am Startort wäre. Da geht es darum, dass man enger kontrolliert werden kann wegen möglicher Dopingvergehen.

Apropos Sexualität: Wie viele schwule Velofahrer bei den Profis kennst du?

(überlegt) Keinen einzigen. Ich bin früher bei den Junioren noch mit einzelnen gefahren. Aber seit ich Profi bin, habe ich noch keinen kennengelernt.

Rein statistisch müsste es schwule Fahrer geben. Warum hat sich noch keiner geoutet?

Wahrscheinlich hat sich das bisher nie jemand getraut. Ich habe mit Teamkollegen schon darüber gesprochen. Vielleicht braucht es mehr Mut, sich zu outen, weil wir eng aufeinander leben. Wir sitzen nackt im Teambus, tragen bei den Massagen bloss ein kleines Handtuch um die Hüften. Vielleicht denkt jemand, er hätte dann Nachteile, weil vielleicht niemand mehr mit ihm das Zimmer teilen möchte.

Wäre es gut, es würde sich jemand outen?

Ja. Wenn ich versuche, mich in die Lage eines Homosexuellen hineinzuversetzen, kann ich mir vorstellen, dass es ihm besser gehen würde und er freier leben könnte. Ich denke nicht, dass er dann von Teamkollegen gemieden würde. Natürlich würden wir vielleicht im ersten Moment grosse Augen machen. Aber danach würde das keine Rolle mehr spielen.

Dir wäre es gleichgültig, wenn dein langjähriger Zimmerpartner eines Tages sagen würde, dass er schwul sei?

 Ja, das wäre mir egal. Klar würde ich mich fragen, warum er das so lange nicht sagen konnte. Man hat nicht viele Geheimnisse vor seinem Zimmerpartner. Mit gewissen verbringt man 180 Tage im Jahr zusammen, mehr als mit der eigenen Freundin oder der Familie. Aber es würde sich für mich nichts ändern, wenn mir mein Zimmerpartner sagen würde, dass er auf Männer steht.

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