Die digitale Sprinterin

Kathrin Fuhrer holte 2024 Bronze an offiziellen UCI-Weltmeisterschaften, und kaum jemand hat es mitbekommen.

1_O7A3942
(Bild: @mauricehaas)

Text: Pascal Ritter

Fotografie: Maurice Haas

Als Kathrin Fuhrer am Flughafen Zürich ankommt, streckt sie einen übergrossen Check aus Karton in die Luft. 5000 US-Dollar Preisgeld bringt sie von der Weltmeisterschaft mit und eine Bronzemedaille. Doch es warten keine Fans am Gate, die 36-jährige Velofahrerin posiert für ein Instagram-Foto. Abgesehen von den tausend Personen, die sie online verfolgen, haben nur wenige mitbekommen, dass sie Ende Oktober in Abu Dhabi an der WM im virtuellen Rennvelofahren Dritte geworden ist.

Das hat mit der geringen Bekanntheit des Velo-E-Sports zu tun. Zwar tauschen im Winter immer mehr das Hinterrad ihres Velos mit einem Smarttrainer aus und fahren durch virtuelle Landschaften. Dass es aber in dieser Disziplin auch professionelle Rennen und vom Weltverband UCI anerkannte Weltmeisterschaften gibt, wissen nur die Wenigsten. Sie wurden dieses Jahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten auch erst zum vierten Mal abgehalten.

1_O7A4066
Für den Einsatz an der WM in Abu Dhabi brauchte Fuhrer ein Nationaltrikot. Sie musste es bei Swiss Cycling kaufen. (Bild: @mauricehaas)

Das war für Kathrin Fuhrer ungewöhnlich, denn normalerweise fährt sie die Rennen in ihrer 3.5-Zimmer-Wohnung in Bilten GL. Einen Raum hat sie dort zu einem «Pain Cave» umgebaut. Die Übersetzung «Schmerzhöhle» wird dem Zimmer allerdings nicht gerecht. Eine Balkontüre führt zu einem Sitzplatz. Und nur an einer Stelle wird der Parkettboden von schwarzen Hartgummimatten verdeckt. Dort, wo ihr schwarzes Rennvelo steht. Statt mit einem Hinterrad ist die Kette mit einem Smarttrainer verbunden. Dieser enthält eine 7.25 Kilogramm schwere Schwungscheibe und eine elektromagnetische Bremse, die drahtlos mit ihrem Smart-TV verbunden ist. Taucht auf dem Bildschirm, der vor dem Velo auf einem Tischchen steht, eine Steigung auf, wird das Schwungrad gebremst, und Fuhrer muss stärker in die Pedale treten, um ihren Avatar durch die virtuellen Welten der Plattformen Zwift oder MyWhoosh zu bewegen.

Magazine-Mockup_04-24
Komm ins Gruppetto und löse ein Abo!
Hier entlang

Seit sie sich voll auf E-Sport-Velorennen konzentriert, verbringt Fuhrer viel Zeit in diesen künstlichen Landschaften, die der Fantasie entsprungen oder der Realität nachempfunden sind. Zwei Ventilatoren verhindern, dass sie dabei überhitzt. Fuhrer lässt sich ihre Trainingspläne von ihrem Coach schreiben. Dieser wohnt in Deutschland, und sie sieht ihn kaum je. Er hat Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten, die sie mit einem Fitnessarmband misst. Teil eines professionellen Teams ist sie nicht.

1_O7A4052
(Bild: @mauricehaas)

Im Pain Cave, direkt vor dem Bildschirm, hängt ein Post-it-Zettel mit dem Satz «The pain you feel today is gonna be the power you feel tomorrow». Heute leiden, morgen gewinnen. «Ich wollte immer Spitzensportlerin sein», sagt Fuhrer. Geklappt hat es erst beim zweiten Versuch. Den ersten unternahm sie auf Ski, was in Elm GL, wo sie aufwuchs, eine naheliegende Wahl war. 2006 wurde sie Schweizermeisterin im Riesenslalom bei den Juniorinnen. 2008 startete sie im Weltcup. Dass sie es nicht zur Weltspitze schaffte, hatte auch mit Verletzungen zu tun. Wegen Knieschmerzen trat sie 2012 zurück.

Du möchtest nicht nur auf der Rolle trainieren? Komm zu unserem Donne*-Ride!

Mit der Ski-Legende Vreni Schneider, die ebenfalls aus Elm stammt, hatte Fuhrer kaum Berührungspunkte. Die mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin gratuliert Fuhrer heute aber jeweils via Facebook zu ihren Erfolgen. Gelegenheiten dazu boten sich in letzter Zeit einige. Schon bei der WM 2023 belegte Fuhrer den 7. Rang. Im März dieses Jahres gewann sie die fünfteilige Rennserie «Zwift Games», und regelmässig siegt sie in Rennen auf MyWhoosh. Das muss sie auch, denn sie hat ihren Job als Fachberaterin für Mikronährstoffe gekündigt und lebt seit Juni ausschliesslich von Preisgeldern. Diese gibt es vor allem auf der Plattform MyWhoosh, die seit dem Jahr 2019 dem Marktführer Zwift Konkurrenz macht. Die Firma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die auch das Strassen-Profi-Team UAE sponsert, vergibt Unsummen an Preisgeldern. Für die «MyWhoosh Championship» standen insgesamt eine Million US-Dollar an Preisgeldern zur Verfügung. Fuhrer gewinnt regelmässig einen Teil davon. «In den besten Monaten kommen so 10 000 Franken zusammen. Die helfen mir dann über Zeiten hinweg, in denen ich weniger gewinne», sagt sie.

1_O7A3971

«Ich weiss, dass ich nicht ewig mithalten kann.»

Kathrin Fuhrer

Wo es um Geld geht, wird oft getrickst. Im virtuellen Rennsport gibt es Prozeduren, die das verhindern sollen. Am einfachsten kann man sich einen Vorteil verschaffen, indem man sein Gewicht zu tief angibt. Denn die Leistung, die der Smarttrainer registriert, wird in Watt pro Kilo umgerechnet. Darum müssen die Athlet:innen vor den Rennen auf die Waage und sich dabei filmen. Die Leistung auf dem Velo wird neben dem Smarttrainer zusätzlich mit einem Powermeter erfasst. Zudem filmen sich die Athlet:innen während des Rennens und tragen Herzfrequenzmesser. Regelmässig müssen die E-Sportler:innen in Tests aufzeigen, dass sie auch ausserhalb der Rennen vergleichbare Kraftanstrengungen bewältigen können.

Auf die Idee, an virtuellen Velorennen teilzunehmen, brachte Fuhrer ihr heutiger Lebenspartner, Michael Knudsen, der mittlerweile in die Schweiz gezogen ist. Sie lernte den Dänen im Jahr 2018 während eines Langstrecken-Velorennens kennen, wo sie als Helferin einen seiner Konkurrenten betreute. Sie verliebten sich, und Fuhrer zog eine Zeit lang zu ihm nach Kopenhagen. Knudsen, selbst E-Sportler, lieh ihr seinen Smarttrainer, und Fuhrer drehte die ersten Runden in den Online-Welten der Plattform Zwift. «Mir gefällt die Einfachheit des Sports. Ich kann vom Sofa aufstehen, aufs Velo sitzen und loslegen. Zudem sind virtuelle Rennen ökologischer und ungefährlicher als echte», sagt sie.

1_O7A4123
Spektakulärer als im Pain Cave: Für den Fototermin trainierte Kathrin Fuhrer im Open Ride in der Europaallee in Zürich. (Bild: @mauricehaas)

Die Verletzungsgefahr ist einer der Gründe, warum Fuhrer nicht an Strassenrennen teilnimmt. «Es hat mir zwar geschmeichelt, als ich gefragt wurde, ob ich für das Team von Swiss Cycling an der Tour de Romandie starten möchte. Ich habe aber abgelehnt.» Es war ihr zu gefährlich, ohne Übung nah beieinander in einem Feld zu fahren. Selbst erfahrene Rennvelofahrer:innen stürzen immer wieder auf engen Strassen.

Ihr Bewusstsein dafür, wie schnell etwas passieren kann, schärfte der Unfall ihrer Schwester Sandra Fuhrer. Diese stürzte 2014 beim Klettern in den Bergen ab und ist seither querschnittgelähmt. Sandra Fuhrer hat übrigens auch zum Radsport gefunden. Sie erreichte an der WM in Zürich überraschend den dritten Platz mit dem Handbike. Beide Schwestern gewannen also im gleichen Jahr eine Bronzemedaille.

Fuhrers nächstes Ziel sind die Weltmeisterschaften 2025. Liegt noch mehr drin als Bronze? «Ich bin jetzt 36 Jahre alt und weiss, dass ich nicht mehr ewig vorne mithalten kann, aber solange ich noch Spass daran habe, werde ich versuchen, so weit wie möglich zu kommen.»

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare