Die Aerotricks der Baroudeure

Unbenanntes Projekt
Illustration: Andrea Rearte

Nach innen gedrehte Bremshebel sind der letzte Schrei im Profizirkus. Schnell sollen sie machen. Doch sie sind auch gefährlich. Etwa wenn ein Fahrer nichtrechtzeitig bremsen kann und einen Massensturz verursacht. So erzählt es Stefan Küng, gefragt nach Sinn und Unsinn der neusten UCI-Regel. Auf Anfang 2024 limitierte der Radsportverband das Eindrehen auf 10 Grad. Es ist die aktuellste Episode im Katz-und-Maus-Spiel zwischen findigen Baroudeuren und der UCI.

Der Baroudeur sucht seinen Erfolg in der Flucht. Verkleinert er seinen Luftwiderstand, erhöht er seine Siegeschancen. So wie Chris Froome bei der Tour de France 2016 in der Abfahrt vom Col de Peyresourde. Der Brite sitzt aufs Oberrohr, pedaliert dazu gar, setzt sich ab und fährt ins gelbe Leadertrikot. Die sogenannte Supertuck-Position hat ihre Sternstunde. Analysen von niederländischen und belgischen Universitäten zeigen: Sie kann um bis zu 17 Prozent schneller machen. Doch bald entbrennt die Sicherheitsdiskussion rund um diese «supergefaltete» Position. Die UCI verbietet sie 2021. Gleichzeitig wie die Puppy-Paws-Position. Der zweite damals beliebte Aerotrick.

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Puppy Paws heisst Welpenpfoten. So sieht es aus, wenn sich Rennfahrer:innen mit den Unterarmen auf den Oberlenker legen und die Hände – wie ein bettelnder Welpe seine Pfoten – frei vor dem Lenker baumeln lassen. Eine Position wie auf dem Aerolenker, aber freihändig. Küng sagt, gerade grosse Fahrer wie er hätten wegen ihres hohen Luftwiderstands sehr von den beiden Positionen profitiert. Klar habe er sich zuerst über das Verbot geärgert.

Noch im selben Jahr finden die Profis eine neue Aerostrategie. An den Olympischen Spielen in Tokio montieren Bahnfahrer 28 cm schmale Lenker. Schon bald ziehen Strassenprofis nach: mit 32 cm statt den üblichen 40 oder 42 cm breiten Modellen. Schmalerer Lenker heisst weniger Kontrolle. Die UCI reagiert: Ab 2022 gelten 35 cm als Minimalmass für Bahn- und Strassenlenker. Heute fährt ein Grossteil der Profis Breiten von 36 oder 38 cm. Doch das Reglement hat eine Lücke, die Konstrukteur:innen bald finden.

Zuerst aber verhelfen eingedrehte Bremshebel den Fahrer:innen zu einer schmaleren Position. Britische Experten von Aerocoach haben die Positionen vermessen. Die eingedrehten Bremshebel sparen bei 45 km/h rund 2 Watt. Profis leisten bei der Tour de France im Schnitt um die 250 Watt. Der Gewinn ist also gering. Zum Vergleich: Die Puppy-Paws-Position spart 4.6 Watt, und bei der Lenkerbreite bringt jeder Zentimeter 2 Watt. Doch die Radprofis setzen auf «marginal gains», minimale Gewinne. Küng findet die Regulierung der Bremshebelwinkel inzwischen sinnvoll. Auch weil filigrane Karbonlenker konstruktiv nicht für diese Klemmposition der Hebel dimensioniert seien.

Doch das dürfte noch nicht das Ende des Katz-und-Maus-Spiels sein. Nun boomen Lenker mit Flare: oben schmal und unten breit, der Lenkerbogen gegen aussen geneigt. Tadej Pogačar schwört darauf. Weil er so mehr Bewegungsfreiheit beim Griff am 42 cm breiten Unterlenker habe. Die Bremsgriffe liegen nur 37 cm auseinander. Sein Lenker ist kein Extrembeispiel. Die UCI-Regel zur minimalen Lenkerbreite von 35 cm bezieht sich auf den breitesten Abstand des Lenkers. Findige Konstrukteur:innen bauen nun Modelle mit extremem Flare. Deren Bremsgriffe liegen am engsten Punkt 14.7 cm auseinander. Ganz legal. Noch hat kein World-Tour-Fahrer einen solchen Lenker eingesetzt. Das dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein.

Und Stefan Küng? Er fährt heute einen 40 cm breiten Lenker, nachdem er lange 2 cm breitere Modelle verwendete. Und seine Bremshebel sind regelkonform eingedreht. Nicht nur wegen der Aerodynamik. Sie liegen ihm besser in der Hand.

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