Luft raus, Tempo rauf

technikko
Illustration: Andrea Rearte

Wer gratis und ohne Training schneller werden will, muss Luft ablassen. Zumindest, wer die Reifen noch immer mit sieben und mehr Bar pumpt.

Weniger Luftdruck soll schneller sein? Ich weiss, auch mir fiel es zuerst nicht leicht, das zu glauben. Aber Tadej Pogačar und die Physik können nicht falsch liegen. Der slowenische Überflieger soll mit vier Bar zu seinen grossen Siegen rollen.

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Und die Physik? Schöner beschrieben habe ich sie von niemandem gehört als vom Sportwissenschaftler Lucas Schmid: «Wer seine Rennradreifen zu hart pumpt, fährt über jede Unebenheit im Asphalt bergauf», sagte er mir.

Der Luftdruck ist eines der Lieblingsthemen von Schmid. Mit Junior:innen-Nationalteams macht der Ausbildungsverantwortliche von Swiss Cycling folgenden Erfahrungstest: Er lässt die Athlet:innen Schritt für Schritt Luft ablassen. Bis nur noch 3,5 Bar die Reifen blähen. Am Ende seien alle überzeugt. Nicht gerade von 3,5 Bar, aber von deutlich tieferem Luftdruck, als sie sich das sonst gewohnt sind. Das unmittelbare Erleben widerspricht der falschen Intuition, dass höherer Luftdruck schneller sei.

Wobei die Intuition nicht gänzlich falsch liegt. Eigentlich rollt ein Reifen mit mehr Druck tatsächlich schneller. Beim Abrollen verformt er sich. Das frisst Energie. Konkret: Ein Teil der Energie, die wir in den Vortrieb stecken, verpufft wegen dieser Verformung als Wärmeenergie. Dieser Vorgang wird Hysterese genannt. Je mehr Druck nun im Reifen ist, umso weniger verformt er sich und umso weniger Energie verpufft. Das gilt, wenn die Strasse glatt ist wie die sibirischen Fichtenplanken einer Radrennbahn.

Nur ist das nie der Fall. Bei genauerer Betrachtung ist ein Strassenbelag voller Steinchen, Kanten, Unebenheiten. Mit satt gepumpten Reifen werden Fahrrad und Fahrer:in über all diese Minihindernisse angehoben. Das gleicht in der Wiederholung eben dem stetigen Bergauffahren, das Lucas Schmid beschreibt. Und Bergauffahren, das wissen wir, kostet Energie. Lassen wir nun Luft ab, werden Rad und Fahrer weniger stark angehoben. Im besten Fall gleiten wir einfach darüber hinweg. Wir sparen Energie. Die Physik nennt diesen Energieumsatz: Impedanz.

Blöd also: Mehr Luft heisst zwar abnehmenden Energieverlust durch die Reifenverformung (Hysterese), aber zunehmenden über Unebenheiten (Impedanz). Der ideale Luftdruck ist nun der, bei dem der Gesamtverlust durch Hysterese und Impedanz am geringsten ist. Und dieser ist tiefer, als die Intuition eine:n glauben macht. Wo genau der Luftdruck liegen soll, hängt vor allem von Reifenbreite, Fahrer:innengewicht und Untergrund ab, ist also individuell. Online-Rechner von Sram oder Silca sind gute Helfer, um den persönlichen Luftdruck zu bestimmen. Den Luftdruck, der eine:n am schnellsten macht.

Zum höheren Tempo gibt es dann gleich noch eine doppelte Zugabe. So stellen Schmids Junior:innen nach den Tests jeweils auch ganz freudig fest: «Jetzt fahre ich mit dem Velo und nicht mehr das Velo mit mir!», wie der Ausbildner erzählt. Denn ein tieferer Luftdruck bringt als erste Zugabe mehr Komfort. Und als zweite mehr Sicherheit. Weil der weichere Reifen mit einer grösseren Fläche auf der Strasse aufliegt, haftet er in Kurven besser.

Darum gilt: Luft raus für mehr Tempo, Komfort und Sicherheit auf dem Velo.

Simon Joller ist Produzent beim SRF-Wissenschaftsmagazin «Einstein». Statt 8 Bar wie als junger Rennfahrer pumpt er heute nur noch 4,1 Bar in seine 28mm-Reifen.

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