Der Club der grossen Talente – Noemi Rüegg ist das jüngste Aushängeschild des VC Steinmaur
Kein anderer Schweizer Veloclub stellt so viele Fahrer:innen in der Welt-Elite des Radsports wie der VC Steinmaur aus dem Zürcher Unterland. Das habe eine lange Tradition, sagt der Präsident Albert Weber. Das jüngste Aushängeschild des Vereins ist Noemi Rüegg.
Text: Andrea Cattani
Fotografie: Urs Jaudas
Liebe auf den ersten Blick ist es nicht zwischen Noemi Rüegg und dem Veloclub Steinmaur. Woche für Woche muss sie als Mädchen beim Mountainbike-Training antraben, das von ihrem Vater geleitet wird und bei dem auch ihr älterer Bruder Timon mitfährt. Auch an den Wochenenden ist sie dabei, wann immer der Club einen Wettkampf in der Region veranstaltet. «Ich hatte damals nicht immer wahnsinnig Lust auf all das», erzählt Rüegg heute. Ihre Heimat ist der VC Steinmaur für Rüegg dennoch bis heute geblieben. Und auch ihre Liebe zum Radsport hat die 23-Jährige aus Oberweningen im Zürcher Unterland längst wiederentdeckt. Mittlerweile gehört Rüegg zu den besten Fahrerinnen der Schweiz an der WorldTour. In diesem Januar hat sie ihr erstes Rennen bei den Profis gewonnen. Und sie ist damit in guter Gesellschaft. Mit Rüegg, Fabian Lienhard, Mauro Schmid und Johan Jacobs stellt der kleine VC Steinmaur aktuell gleich vier Fahrer:innen in der Elite der Radprofis. Hinzu kommt mit Noemis Bruder Timon Rüegg noch ein Radquer-Profi von internationaler Klasse.
«Ich kann mich jederzeit beim Club melden, wenn ich etwas brauche.»
Noemi Rüegg
Albert Weber lacht, wenn ihm jemand die Namen der Steinmaur-Profis aufzählt. Klar, aussergewöhnlich sei das. Aber Weber sagt: «Wir hatten hier schon immer sehr gute Fahrer, die auch den Sprung zu den Profis geschafft haben.» Er muss es wissen. Seit 30 Jahren ist Weber nun schon Präsident des Veloclubs. Mit Fabian Lienhards Onkel Willy und seinem Vater Erwin, selber Grand-Tour-Fahrer und Etappensieger an der Tour de Suisse 1981, fuhr Albert selbst noch Rennen. Von Erwin Lienhard wurde Albert Weber in den 1990er Jahren auch dazu überredet, den Präsidenten-Posten zu übernehmen. «Für uns alle war der Veloclub Steinmaur immer eine Herzensangelegenheit. Ob bei Fabian Lienhard, den Rüegg-Geschwistern oder bei Mauro Schmid: Es ist ein Riesenglück, dass sie die Hingabe für den VC von ihren Eltern weitergereicht bekommen haben.»
Unter Präsident Weber hat sich der 1909 gegründete VC Steinmaur zum Hansdampf unter den Vereinen gewandelt. Für sein Radquer-Rennen ist Steinmaur seit Jahrzehnten über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Daneben stellte der Club in den vergangenen Jahren zwei Radquer-Schweizermeisterschaften und eine Strassenmeisterschaft auf die Beine. Und als die diesjährige Tour de Suisse noch auf der Suche nach einem Startort für die dritte Etappe war, schlug die Stunde von Albert Weber ein weiteres Mal. Während andere Etappenorte längst tief in den Vorbereitungen steckten, weibelte der 62-Jährige noch Anfang des Jahres im Dorf und holte sich innert weniger Wochen die notwendige Zusage.
Wie immer, wenn der Veloclub mal wieder etwas Grösseres anreisst, nahm Albert Weber dafür Kontakt mit dem Steinmaurer Gemeindepräsidenten Andreas Schellenberg auf. Weber sei genau der Präsident, den ein Veloclub braucht, sagt der SVP-Politiker. Der Veloclub ist für ihn längst zu einem der Aushängeschilder des 3700-Seelen-Dorfes geworden. «Mit all den Anlässen und organisierten Rennen ist der VC einer der aktivsten Vereine in der Region. So etwas spricht sich herum.» Dank Webers Umtriebigkeit kommt Schellenberg zur Ehre, am 11. Juni den Startschuss zur TdS-Etappe in Steinmaur zu geben. Ein Highlight seiner Karriere sei das, sagt Schellenberg. Und für den Veloclub werde es die Krönung, meint Weber. «Es ist auch eine Gelegenheit, den Sponsoren hier und unseren Fahrern etwas zurückzugeben.»
Einer, der mit der Tour-de-Suisse-Etappe von Steinmaur nach Rüschlikon etwas «zurückbekommt», ist Fabian Lienhard. Den Helfer aus dem Team Groupama-FDJ nennen im Club alle nur «Lieni». Der gebürtige Steinmaurer weiss, was er an seinem VC hat. «Wann immer ich zu Hause bin, versuche ich, mal vorbeizuschauen.» Der Club mache unglaublich viel für die Fahrer:innen und sei auch bei den Rennen stets präsent. «Das fördert den Zusammenhalt. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum gerade Steinmaur so viele gute Leute hervorbringt.» Für Lienhard ist klar, dass davon einiges aufs Konto von Präsident Weber geht: «Er ist ein Spinner – aber im besten Sinne des Wortes.»
Eine Garantie für weitere Fahrer:innen in der Weltelite hat aber auch der VC Steinmaur nicht. Zu Junioren-Zeiten war bei Lienhard und den anderen Talenten der Mittwochnachmittag für ihren VC reserviert. Quer-Fahrten übers Feld und stundenlange Einheiten auf dem Klötzchenparcours für die Technik. Auch Noemi Rüegg ging als Jugendliche durch diese harte Schule: «Ich war jünger als die Gruppe um Lieni und Mauro, aber das war schon eine gute Truppe. Ich habe immer etwas zu ihnen aufgeschaut und gesehen, was alles möglich ist.» Heute sind die Steinmaurer Profis die meiste Zeit des Jahres mit ihren Teams auf Reisen. Geblieben sind der Zusammenhalt und die Verbundenheit zu den Anfängen. «Ich weiss, dass ich mich jederzeit beim Club und den Kollegen melden kann, wenn ich etwas brauche», sagt Rüegg.
Ein Heimrennen in Steinmaur wird es für Noemi Rüegg in diesem Jahr nicht geben. Die Tour de Suisse der Frauen beschränkt sich 2024 auf Etappen in der Westschweiz. Es würde im Umfeld des Veloclubs aber niemanden überraschen, wenn Präsident Weber auch so ein Rennen in den kommenden Jahren noch nach Steinmaur lotsen würde. Das Herzblut seiner vielen WorldTour-Profis muss ja belohnt werden.