Wissenschaft zu Hitzetraining auf dem Fahrrad: bis zu 10 Prozent schneller
Text: Simon Joller
Illustration: Andrea Rearte
Ich schreibe hier ja gerne über technische Raffinessen, die zur Beschleunigung im Radsport beitragen. Gehört da nun plötzlich auch eine neue Trainingsbekleidung dazu? Immer öfter sieht man selbst im Hochsommer Radprofis in Pullover und Regenjacke, mit Wollmütze, langen Hosen und Handschuhen. Sie sitzen drinnen auf der Rolle, Fenster geschlossen. Die Wissenschaft sagt, Hitzetraining mache bis zu zehn Prozent schneller. Das ist deutlich mehr als bloss eine von vielen kleinen Leistungsverbesserungen. Eine solche Steigerung erinnert an die Leistungssprünge dank dem Dopingmittel EPO (Erythropoetin). Tatsächlich hat Hitzetraining auch etwas damit zu tun.
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Patrik Noack ist oberster Mediziner bei Swiss Cycling. Er sagt, man könne sogar als Hobbyfahrer:in vom Hitzetraining profitieren, an einem schönen Sommertag, ohne Wollmütze oder Regenjacke. Bevor wir zu seinem «Aber» kommen, erst ein Exkurs in die Physiologie: Trainieren wir in der Hitze, reagiert unser Körper auf den Hitzestress. Er bildet mehr Blutplasma, diese gelbliche Flüssigkeit, die zu 90 Prozent aus Wasser besteht. Das Blut wird, vereinfacht gesagt, dünner. Es zirkuliert damit zwar besser, doch das Verhältnis von Plasma zu roten Blutkörperchen stimmt nun nicht mehr. Also fahren die Nieren die körpereigene EPO-Produktion hoch. Denn das Hormon regt die Bildung roter Blutkörperchen an.
Da diese den Sauerstoff von der Lunge zu den Muskeln transportieren, sind sie zentral für die Leistung. Je mehr, desto besser. Und genau das ist eben einer der Effekte des Hitzetrainings, wie mehrere aktuelle Studien bestätigen.
Wie viel Hitzetraining empfiehlt Patrik Noack seinen Profi-Athleten? «Die Häufigkeit ist individuell. Oft sind es ein bis zwei Mal pro Woche, 30 bis 60 Minuten, mit 60 bis 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz, also moderater bis hoher Bereich», sagt der Mediziner. Profis absolvieren das Hitzetraining praktisch ausnahmslos drinnen, bei kontrollierter Luft- und sogar Körpertemperatur. Denn wer zu heiss läuft, schadet sich. Die Profis kontrollieren ihre Körpertemperatur mit Sensoren. Jon Greenwell, Chefmediziner bei EF Pro Cycling, achtet bei seinen Athlet:innen auf eine Körperkerntemperatur zwischen 38,5 und maximal 39 Grad Celsius: «Ab 40 oder 41 Grad sind die Auswirkungen negativ», sagt er.
Der Aufwand für Hitzetraining ist also beträchtlich. Zumindest ich würde mir dieses fieberhafte Schwitzen auf der Rolle nicht antun wollen. Dennoch bin ich diesen Sommer mehrmals bewusst in der Mittagshitze aufs Rad gestiegen. Ist es Einbildung, dass ich nach zehn Tagen laienmässigen Hitzetrainings das Gefühl habe, einen Leistungssprung gemacht zu haben?
Ohne meine Werte gemessen zu haben, bestätigt Patrik Noack, dass auch bewusste Trainings an heissen Sommertagen eine Leistungssteigerung bringen können. Und nun zu seinem Aber: «Es besteht ein hohes Risiko von Überhitzung und Dehydrierung.» Man solle nicht zu lang fahren und unbedingt viel trinken.
Simon Joller ist Produzent beim SRF-Wissenschaftsmagazin «Einstein». Wenn Andere die Badehose anziehen, schlüpft er in die Velohose.