Verlieren gehört zum Job
Text: Cybèle Schneider
Foto: Mirjam Kluka
Verlieren. Und das immer wieder. Alle Athlet:innen kennen es. Trotzdem hat Verlieren wenig Platz – weder in unseren Instagram-Posts noch in den Medien oder in unseren eigenen Erzählungen. Im Radsport entscheidet eine Zehntelsekunde über Sieg oder Niederlage. Da ist das Verlieren nicht nur unvermeidlich – es gehört schlicht dazu. An einem Strassenrennen mit rund 150 Athletinnen am Start wird nur eine im Ziel ihre Hände in die Höhe reissen können, während die 149 anderen verlieren.
Mein Ziel, mich auch dieses Jahr für die Bahn-WM zu qualifizieren, erreichte ich nicht. Ich gehörte zum Zeitpunkt der Selektion nicht zu den fünf stärksten Schweizer Frauen auf der Bahn. Der gesundheitsbedingte Trainingsrückstand war schlicht zu gross – meine Enttäuschung genauso. In den entscheidenden acht Wochen vor der Selektion setzte ich alles daran, fit zu werden. Ich verzichtete auf die Hochzeit einer guten Freundin in England, bat meine Partnerin darum, im Zug eine Maske zu tragen, und reduzierte mein Sozialleben auf ein Minimum. Es nach all diesen Verzichten nicht zu schaffen, war hart. Trotzdem weiss ich: Verlieren gehört zum Job.
Die meisten Athlet:innen verlieren häufiger, als sie gewinnen. Auch Tadej Pogačar hat oft verloren, bevor er zum heutigen Dominator des Strassenradsports wurde. Mein Lieblingsradsportfilm «Wonderful Losers» zeigt die Geschichte der Helfer im Radsport – jener Fahrer, die alles investieren, wahrscheinlich ohne je selbst zu gewinnen. Der Film vermittelt eine melancholische Schönheit im Verlieren und zeigt die Selbstlosigkeit vieler Fahrer:innen.
Verlieren heisst lernen. Und wer aus seinen Fehlern lernt und wächst, wird irgendwann – vielleicht ganz unerwartet – gewinnen. So wie Mathew Hayman, der nach 14 Teilnahmen an Paris–Roubaix, unzähligen Stürzen und Brüchen, das Rennen 2016 plötzlich gewann – nachdem er in den Wochen davor nur auf der Rolle mit gebrochenem Arm trainiert hatte. Sein Sieg war nicht der Triumph eines Überfliegers, sondern der Lohn jahrelanger Beharrlichkeit. Und wahrscheinlich machte genau das seinen Sieg umso schöner.
Verlieren heisst für mich heute nicht mehr, versagt zu haben. Es heisst, dass ich es versucht habe – mit allem, was ich hatte. Es heisst auch, Verantwortung zu übernehmen: für meine Entscheidungen, meinen Körper, meine Grenzen. Nach der Enttäuschung geht der Blick nach vorne. Die nächste Saison beginnt jetzt, mit neuen Zielen und der gleichen Leidenschaft. Und vielleicht ist genau das der Kern des Sports: immer wieder alles zu geben und den Prozess zu lieben, auch wenn man weiss, dass man sehr wahrscheinlich öfter verliert als gewinnt.
Cybèle Schneider (29) fuhr diese Saison im Gegensatz zum Vorjahr keine nennenswerten Resultate ein. Sie fährt fürs Team Spar-CTO sowie für das Schweizer Nationalteam auf der Bahn.