Die Seele der Rennbahn
Am 7. Juli feiert Alois «Wisel» Iten seinen 80. Geburtstag. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass der Chef der Offenen Rennbahn Oerlikon nun wirklich kürzer tritt.
Alois Iten war schon auf der Offenen Rennbahn Oerlikon, als dort noch Tausende Hugo Koblet zujubelten. Und er ist immer noch da. Im Betonoval im Norden Zürichs wirkt Iten, den alle nur Wisel nennen, wie der Abwart eines Schulhauses. Während in der Bahn die Steher-Töffs dröhnen, sorgt er still und leise dafür, dass alles bereit ist, wenn der nächste Startschuss fällt. Iten bleibt im Hintergrund, obwohl er natürlich nicht der Abwart ist, sondern, wenn schon, der Rektor. Schliesslich ist Iten Präsident und Betriebsleiter. Und der Zürcher mit Wurzeln in der Innerschweiz, der mit seiner Frau Margrit in Zürich-Altstetten wohnt, ist seit Jahrzehnten Bahntrainer.
Durch seine Schule gingen Olympiasieger Fabian Cancellara, Weltmeisterin Barbara Heeb, Europameister Stefan Bissegger oder Giro-Gewinnerin Nicole Brändli. Bahnlegende Kurt Betschart, der mit Bruno Risi 37 Sechstagerennen gewann, besuchte den ersten von inzwischen unzähligen Bahnkursen, die Iten seit 1985 anbietet. Er habe es geschafft, ohne strenge Worte die jungen Sportler:innen zu Disziplin anzuhalten, erinnert er sich. «Ich konnte vom Velofahren leben, Wisel lebte fürs Velofahren», sagt Betschart. Klar habe Iten mit seinem Velo-Geschäft, das er seit 1967 auf der Rennbahn betreibt, auch irgendwie vom Sport gelebt, reich sei er damit aber nicht geworden. «Wisel hat nie gefragt, ob es sich lohnt und ob jetzt diese oder jene Stunde bezahlt sei», sagt Kurt Betschart.
Alois Iten fuhr als Junior und Amateur selbst Rennen. «Er war ein ruhiger, angenehmer Fahrer», erinnert sich Walter Schor, der in den 1960er Jahren mit ihm die Züri-Metzgete und das Vier-Kantone-Rennen absolvierte. Vielleicht stand ihm als Sportler seine zurückhaltende Art im Weg. Grosse Siege erzielte er jedenfalls keine. Er blieb dem Sport aber treu und sponserte ein Elite-Radteam, das er mit selbstgebauten Rahmen und Bekleidung ausrüstete, die er zusammen mit Schor im Auto von Mailand nach Zürich brachte. Viele Teile aus seinem Velo-Fundus verkauft Iten nun online. Sein Sohn Sacha hilft ihm dabei. Iten hat auch eine Tochter, Michaela, und drei Enkelkinder.
Itens grösster Coup ist, dass die 1912 erbaute Rennbahn noch steht. Weil Geld für den Betrieb fehlte oder Pläne geschmiedet wurden, am attraktiven Standort neben dem Hallenstadion ein Alterszentrum oder ein Parkhaus zu bauen, wäre sie schon ein paar Male beinahe abgerissen worden. Doch die von Iten gegründete Interessengemeinschaft Offene Rennbahn (Igor) verhinderte dies. In den Sommermonaten finden darum bei guter Witterung noch immer jede Woche Abendrennen statt.
Im Jahr 2022 litt Wisel an gesundheitlichen Problemen. «Ich glaubte, die Weihnachten nicht mehr zu erleben», erinnert er sich. Seither gehe es ihm «immer ein bisschen besser». «Seine Augen leuchten wieder, wenn es um die Rennbahn geht», beobachtet Igor-Sprecher Heier Lämmler. Iten hat sich vorgenommen, nach der Rad-WM, deren Männer-Zeitfahren auf der Rennbahn startet, etwas kürzer zu treten, «wenn es geht». Bis dahin muss nun seine Nachfolge geregelt werden. Das wird keine leichte Aufgabe, denn Iten ist mittlerweile nicht mehr nur das Gesicht, sondern auch die Seele der Rennbahn. Man merkt es Alois Iten nicht an, aber er feiert am 7. Juli 2024 seinen 80. Geburtstag. Alles Gute!