So schwierig ist es, die Velo-WM-Strecke in Zürich inklusiv zu gestalten

Die Rad-WM 2024 will beim Thema Inklusion noch einen Schritt weiter gehen als ihre Vorgängerinnen. Neben den Regelsportler:innen sind die Wettkämpfe der Paracycler:innen integraler Bestandteil der WM, und alle Rennen werden über die gleiche Ziellinie fahren. Das ist auch für Streckenplaner Tobias Fankhauser eine grosse Herausforderung.

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Handbiker Tobias Fankhauser gewann in seiner Karriere mehrere Paralympics- und WM-Medaillen. Der 34-Jährige ist Teil des Organisationskomitees der WM in Zürich.

Text: Nicolai Morawitz

Fotografie: Maurice Haas

Tobias Fankhauser, worauf muss man achten, wenn man Para-Cycling-Rennkurse entwirft?

Die Bedürfnisse sind vielfältiger, weil es so viele unterschiedliche Behinderungen und dementsprechend Kategorien gibt. Alle Athlet:innen, die im September in Zürich an den Start gehen, gehören zur Weltspitze, aber trotzdem bringen sie ganz unterschiedliche körperliche Voraussetzungen mit. Handbiker:innen können zum Beispiel weniger Watt auf die Kurbeln bringen, wenn ihre Behinderung stärker ausgeprägt ist. Sie kommen deshalb nicht für alle Streckenführungen in Frage.

Welche Kategorien gibt es?

Bei der WM unterscheiden wir im Para-Bereich in vier Divisionen. Da sind das Tandem, das klassische Velo, das Tricycle, also Dreirad, und das Handbike. Es sind also ganz unterschiedliche Velos – das macht die Faszination unseres Sports aus. Und dann gibt es noch Abstufungen für die jeweiligen körperlichen Einschränkungen.

Und wie sehen die genau aus?

Es gibt sogenannte Sportklassen in den jeweiligen Divisionen. Je tiefer die Zahl, desto stärker die Einschränkungen. Mit all diesen Bedürfnissen sind wir in die Feinabstimmung gegangen. Immer im Hinterkopf waren natürlich die Vorgaben von der Stadt, dem Kanton und dem Weltradsportverband UCI.

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Worauf haben Sie bei der Feinabstimmung genau geachtet?

Ich habe zunächst einen Reality-Check aus Sicht des Para-Cycling-Sports vorgenommen. Als ehemaliger Spitzenathlet und Medaillengewinner an den Paralympics konnte ich da meine Erfahrung einbringen. Ich fuhr die Strecke selber mit dem Handbike, um zu spüren, wie sich ein Rennen entwickeln könnte und wo mögliche Schwierigkeiten liegen. Unser Ziel war bei allen Strecken, dass Para-Cycler:innen immer möglichst viel von der Strecke der Regelsportler:innen nutzen.

Klappt das überall?

Uns wurde schnell klar, dass es zwei Strecken für Para-Cycler:innen im Strassenrennen braucht. Da ist einerseits der City Circuit – die wohl härteste Strecke, die Para-Cycler:innen je in einem Top-Rennen gefahren sein werden. Der Lakeside Circuit ist der zweite Kurs. Er ist eine gute Ergänzung für die Klassen mit stärkeren Behinderungen und zugleich Schlussrunde für alle Para-Cycling-Strassenrennen. Diese kurze Schlussrunde für alle Fahrer:innen hilft uns bei der Einhaltung der Marschtabelle. Es gibt ein sehr dichtes Wettkampfprogramm an allen neun Tagen, und wir wollen nicht in Verzug geraten.

Was macht den 27 Kilometer langen City Circuit so hart?

Er führt die Zürichberg-Strasse hinauf: Ein 800 Meter langer Anstieg mit zweistelligen Steigungsprozenten wartet auf die Para-Athlet:innen. Der Circuit geht dann sehr wellig weiter und kommt wohl Kletter-Spezialist:innen entgegen. Der Anstieg am Zürichberg ist übrigens der gleiche, den auch die Spitzenfahrer:innen aus dem Regelsport in Angriff nehmen werden.

Wo haben Sie bei der Streckenplanung die grösste Herausforderung erlebt?

Das Schwierigste ist wirklich die Kalkulierbarkeit. Wir befinden uns mit den Strecken im Innenstadtperimeter von Zürich und haben einen sehr engen Zeitplan. Auf der anderen Seite müssen wir auch alle Bestimmungen der UCI einhalten. Herausfordernd ist auch, dass wir für die Para-Cycler:innen einige Kursanpassungen brauchen.

Können Sie ein konkretes Beispiel machen?

Beim Zeitfahren von Gossau nach Zürich gibt es eine sehr schnelle Abfahrt, bei der man zwischen 80 und 100 Stundenkilometer erreichen kann. Dort haben wir entschieden, dass Athlet:innen mit grösseren Einschränkungen an den oberen Extremitäten nicht abfahren können, weil sie nicht in der Lage sind, genug sicher die nötige Bremsleistung zu entwickeln. Bei Athlet:innen auf Dreirädern wiederum müssen wir den hohen Schwerpunkt berücksichtigen. Es ist an uns, Kanten und Erhebungen abzuflachen. Dazu sind wir mit dem Tiefbauamt im Austausch.

Schweizer Para-Cycling-Stars wie Flurina Rigling bedauerten vorab, dass sie nur auf dem Lakeside-Rundkurs an den Start gehen und keine Anstiege ausserhalb der Stadt in Angriff nehmen können. Wie kam es dazu?

Die Streckenplanung war ein krasses Puzzlespiel. Alle Rennen müssen auch zeitlich genau zueinander passen und den unterschiedlichen körperlichen Anforderungen entsprechen. Bei Flurina Riglings Strassenennen treten drei Klassen gleichzeitig an – es sind also auch Fahrerinnen mit stärkeren Behinderungen als ihren am Start. Deshalb wurde die Entscheidung getroffen, auf dem Lakeside Circuit zu fahren und dort neun Runden zu drehen. Dafür wird ihr Rennen am Samstag unmittelbar vor dem Frauen-Eliterennen der Regelsportlerinnen stattfinden. So geben wir ihr und dem gesamten Schweizer Para-Sport eine hohe Sichtbarkeit.

Wie haben Sie persönlich die Planung erlebt?

Sehr vielfältig. Für mich ist es sehr spannend und lehrreich, mit so erfahrenen Leuten zusammenzuarbeiten. Man spürt, dass das gesamte Organisationskomitee für Para-Cycling-Aufgaben brennt. Während der WM werde ich wahrscheinlich am häufigsten auf dem Sechseläutenplatz anzutreffen sein – für mich ist es die erste WM, an der ich nicht auf, sondern neben der Strecke meine Aufgabe erledige. Darauf bin ich gespannt.

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